Kultur

Bayerische Traditionen

Ober sticht (meist) Unter

… ein häufiger Spruch in Bayern, der aber nicht immer zutrifft. Zumindest nicht beim Schafkopfen. Beim Wenz und radikaler noch beim Ramsch werden die Verhältnisse auch mal umgedreht. Reflexionen über ein Spiel, bei dem sich die unterschiedlichen Charaktere von Karten und Spielern zeigen.

Schafkopfen ist ein tolles Spiel. Glück und Geschick entscheiden über den Erfolg, und das in wechselnden Proportionen. Hinzu kommt der Faktor Mitspieler, viele Ausprägungen des gemeinsamen Spiels sind möglich, von Komplizenschaft und Teamwork über Machtgerangel bis zu Alleingängen. Die Kommunikation findet nicht nur über die Karten statt, die sind nur die hard facts, Mimik und Gesten transportieren ebenfalls Informationen, für den, der sie zu lesen weiß.

Die hohen und die jungen Herren: Ober und Unter

Gutherzig?

Dann die Karten selbst mit ihren farbenfrohen Motiven, die abgebildeten Herren, die „Buben“ haben jeder ihre eigene Persönlichkeit: Der noble arrogante Eichelober, der sich seiner Macht wohl bewusst ist, der Grasober, ein Don Juan, der Frauen den Kopf verdreht, der emotionale Herzober – hat er ein gutes Herz? Auf jeden Fall ist er sympathisch, auch wenn er manchmal nicht viel ausrichten kann, und zu guter Letzt der Schellenober, solide, aber etwas farblos und machtlos im Schatten der anderen. Immerhin herrscht er über die Unter, das sind sowas wie die Junioren, ehrgeizig schielend auf die Posten der Ober, aber noch lange nicht so weit. Auch hier ist der Eichelunter der ambitionierteste, ganz nah an der Liga der Ober, bildet sich ganz schön was ein, wird aber immer wieder in seine Grenzen gewiesen von den Senioren. Der einige wirklich bescheidene unter der jungen Garde ist der Schellenunter: er weiß um seine begrenzte Macht und auch darum, dass die Herzsau, die zwar in der Hierarchie eine Stufe unter ihm steht, weit mehr Eindruck macht und viel begehrter ist als er. Umso größer ist sein Triumpf, wenn er diese zur Strecke bringen kann.

Fette Beute

Mit der Blauen

Damit wären wir bei den Säuen, auch hier hat jede einen sehr eigenen Charakter. Meine Lieblingssau ist die Grassau, auch die „Blaue“ genannt (logisch, oder?), auch wenn die Herzsau im normalen Spiel eine viel höhere Stellung einnimmt. Wenn es um die Sauen geht, sind alle Besitzer wie besorgte Schäfer, die alles in ihrer Macht Stehende tun, sie sicher nach Hause zu bringen. Am besten in Form eines Stichs, nicht so gerne als bloße Punktebeigabe, da reut sie einen. Wenn es um die fremden Sauen geht, ist jeder ein Jäger, scharf drauf, sie zu erlegen und als Beute ins eigene Lager zu bringen. Die Sauen sind aber nicht nur zum Stechen da, sondern entscheiden beim „normalen Sauspiel“ auch darüber, wer mit wem spielt. Der Spieler sagt nämlich an, mit welcher Sau (also mit deren Besitzer) er spielen will: wahlweise mit der „Oidn“ (= Eichelsau), der „Blauen“ (= wie schon erwähnt die Grassau) oder der Schellensau. Mit der Herzsau kann man nicht spielen.

Schwein gehabt

Die Zehner

Noch ängstlicher gehütet als die Sauen sind die Zehner: sie sind wie volle Geldbeutel, immer gern gesehen, sorgen für Wohlstand und Wohlbefinden, man darf sie nur nicht verlieren … Die Krönung ist natürlich, wenn eine Sau einen Zehner sticht, das gibt gleich 21 Punkte, zum Gewinn des Spiels braucht es 61 Punkte (für Spieler) beziehungsweise 60 Punkte (für die Gegenseite).

Volle Ähren, Üppigkeit, Fülle

Verarmter Adel

Dann gibt es noch die normalen Könige, also die Könige außer Herz, die, anders als ihr Name vermuten lässt, weder besonders mächtig noch besonders wertvoll sind, sie haben ja so gut wie nichts zu entscheiden und sind auch als Beigabe nur Leichtgewichte. Vielleicht vergleichbar mit Adel in unseren Zeiten und Breiten.

Das Fußvolk

Bleiben noch die Siebener, Achter, Neuner, das Fußvolk quasi. Nicht gern gesehen, können sie doch zu wahren Triumpfen verhelfen, wenn sie in seltenen Konstellationen doch einmal einen sagenhaften Stich machen. Ansonsten ist über sie wenig bekannt, sie fristen ein Schattendasein, man entledigt sich ihrer so schnell wie möglich, mal dienen sie als Lückenbüßer, mal sind sie die Leibgarde der wichtigen Karten und werden zu ihren Gunsten ohne Bedauern geopfert. Jeder ist enttäuscht, wenn er sie bekommt, je mehr davon, desto länger das Gesicht. Wie mögen sie sich fühlen, die Verschmähten, wo sie doch solide ihre Arbeit tun und manchmal wie erwähnt sogar Außergewöhnliches leisten, das ihnen niemand zugetraut hätte. In solchen Momenten sind sie stolz und glücklich und doch sind ihre Heldentaten sofort wieder vergessen – schon beim nächsten Spiel freut sich niemand mehr über den Schellenneuner, der eben noch das Spiel entschieden hat.

Nur Luschen

Wie im richtigen Leben

Überhaupt die Wechselhaftigkeit, das Spiel ist ein Spiegel des Lebens. Je nach Art des Spiels wendet sich die Bedeutung der Karten. Waren die Ober eben noch allmächtig im Sauspiel oder Solo, so sind sie im Wenz nichts mehr wert und im Ramsch eine Gefahr. Ich mag den Ramsch: Waren den ganzen Abend lang alle erpicht aufs Ansammeln von Punkten, auf Besitz und Größe, so wollen jetzt plötzlich alle nur noch Rucksacktouristen sein und mit ganz leichtem Gepäck reisen. Bloß keine Reichtümer, bloß keinen Ballast. Spielt bei allen anderen Spielen der Neid eine Rolle, so tritt beim Ramsch die Schadenfreude an seine Stelle. Wie freut man sich, wenn derjenige, der gerade eben noch mit einem glänzenden Solo die anderen um ihr Geld gebracht hat, nun mit ähnlichen Karten sämtliche Stiche und Punkte kassiert und im Galopp ins Verderben reitet … während man selber mit Freude die sonst so gehüteten Sauen und Zehner reinschmiert.

Auch ein Wenz stellt die sonst gültige Ordnung auf den Kopf: Plötzlich gelten die Ober nichts mehr und die Junioren übernehmen die Regie. Entsprechend unberechenbar ist das Spiel, außer man hat mindestens drei Unter und alle Säue. Für mich ist der Wenz das aufregendste Spiel, ich spiele es nur, wenn es zu schade um die Karten wäre, denn mit Wenz-Karten kann man sonst nicht viel anfangen, höchstens gibt man noch einen passablen Mitspieler ab, der die Schmiere liefert. Ich bange dann immer bis zum letzten Zug, denn mehr als einmal habe ich sicher geglaubte Spiele verloren.

Und dann das Solo, mit dem fühle ich persönlich mich wohler als mit dem Wenz, schon weil man mehr Mittel zur Verfügung hat. Auch wenn es hier ganz dumm laufen hat, wenn man im Grunde gegen einen spielt, der gut bestückt ist und von den anderen beiden mit Schmiere versorgt wird. Am liebsten spiele ich Grassolos, sie sehen einfach am besten aus, und dann Herzsolos. Am wenigsten gern Schellensolos, aber natürlich spiele ich auch sie noch dankbar, geschenktem Gaul schaut man nicht ins Maul, Solos kommen ohnehin nur alle heiligen Zeiten vor …

Wenn man ein Solo-Blatt bekommt, ist das ein Geschenk, es wäre ein Frevel, es für ein gewöhnliches Sauspiel zu vergeuden, ich sehe es fast als Verpflichtung an, das Kapital zu nutzen. Auch wenn man dabei raus muss aus der Komfortzone, auf sich alleine gestellt ist inmitten von drei Feinden. Man kann viel über sich lernen beim Schafkopfen. Ich merke zum Beispiel gerade beim Solo, wie wichtig mir die Meinung der anderen ist. Zum einen leide ich drunter, wenn alle gegen mich sind und mir wünschen, dass ich verliere. Zum anderen werde ich unsicherer in meinem Spiel, wenn ich so im Mittelpunkt stehe, denn nicht nur will ich nicht verlieren, ich will mich auch nicht blamieren. Welcher Aspekt von beiden wichtiger für mich ist, weiß ich gar nicht …

Spiele mit mir und ich sage dir, wer du bist

Gerade beim Kartenspielen kann man sich ausprobieren, sich mal was trauen, unkonventionelle Wege gehen, Spiele spielen, für die man eigentlich nicht gerüstet ist, ein Risiko eingehen, bluffen. Eigentlich geht’s ja um nix, außer vielleicht den guten Ruf. Und doch brauche ich Mut dazu und spüre Nervosität.

Zum Punkt: über sich lernen (oder über die anderen). Wer kann nicht gut verlieren, fühlt sich ungerecht behandelt, jammert gern, macht die anderen verantwortlich für Misserfolge, lässt sich leicht verunsichern, hat wenig Selbstvertrauen, hat seine Emotionen nicht im Griff. Wie durchschaubar ist er, wer wird persönlich, vertraut nur auf sich selbst, macht Alleingänge, was ist jemand wichtig: gut dastehen, gewinnen, Nervenkitzel, wer ist risikofreudig, wer behält seinen Humor, wer baut seinen Partner auf, wer kann mit Würde verlieren, wer will immer recht haben, etc. Oft zeigen auch Menschen, die man gut zu kennen glaubt, überraschende Seiten als Spieler. Eigentlich wäre Schafkopfen eine ideale Methode für Bewerber-Assessment (-;

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