Kultur

Kritische Nikolausbetrachtung

Viele Familien mit Kindern im Vorschulalter leisten sich am 5./6. Dezember den Besuch eines Nikolauses, der den Kleinen die Leviten liest. Am meisten Spaß daran haben die Erwachsenen.

Als J. mir erzählte, wie sich ihre Kleine und deren Kindergartenfreund vor dem Nikolaus und dem Krampus gefürchtet hatten und wie amüsant das doch war, stellte ich zum ersten Mal diese Tradition in Frage. Da kommt jemand ins Haus, verkleidet und normalerweise in Begleitung eines finsteren Kumpans, der Dinge über sie weiß und sie unter Umständen, wenn mehrere Familien anwesend sind, in großer Runde ausbreitet, sie somit vor allen bloß stellt. Eingeschüchtert sind sie dem Geschehen hilflos ausgeliefert. Sie schämen sich und haben Angst, denn es wird ihnen ja auch noch gedroht: dass der Krampus sie in den Sack steckt und mitnimmt, sie ihrer Familie entreißt. Und zu allem Überfluss steht ihnen niemand zur Seite, nein, die Erwachsenen lachen sie aus.

Wozu soll das Ganze eigentlich gut sein? Dazu, die Kinder gefügig und folgsam zu machen? Ist es wie ein Initiationsritual, das die Erwachsenen selbst auch durchleben mussten und nun beim Zuschauen aus ihrer Machtposition heraus genießen, da sie es ja schon hinter sich gelassen haben? In erster Linie dient es jedenfalls deren Amüsement, denn die Kinder können dem Ganzen erst nach überstandener Gefahr etwas abgewinnen. Vielleicht geht es genau darum: sie haben Angst und irgendwann ist die Situation vorbei und sie sind erleichtert und fühlen sich bestenfalls gestärkt.

Bestenfalls, wenn die Kinder ein gesundes Selbstvertrauen haben und auch nicht übermäßig geängstigt werden. Im Grunde erscheint mir das Ganze jedoch respektlos und übergriffig den Kindern gegenüber. Auf die Erwachsenenwelt übertragen ist es in etwa so, wie wenn mehrere Abteilungsleiter sich mit ihren Mitarbeitern versammeln und plötzlich erscheint unangekündigt der Konzernchef, zitiert die einzelnen Mitarbeiter zu sich und macht sie vor versammelter Mannschaft zur Sau, bis sie sich heulend verstecken. Zum krönenden Abschluss droht er mit ihrem sofortigen Rauswurf aus der Firma. Und die Abteilungsleiter klopfen sich lachend auf die Schenkel.

Andererseits ist das Erlebnis „Nikolaus“ womöglich die perfekte Vorbereitung auf solche Situationen: Man lernt, sie gehen vorüber, und bald sind sie vergessen, bis zum nächsten Mal.

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