Ragnar Axelssons: Where the world is melting.
Die aktuelle Fotoausstellung im Kunstfoyer München zeigt Fotografien des Isländers Ragnar Axelsson, „Rax“, aufgenommen in Schwarz-Weiß in Island, Grönland, den Färöer-Inseln und Sibirien. Protagonisten sind die Menschen, die der harten Natur trotzen und die Tiere, die ihnen dabei helfen, allen voran die Schlittenhunde, „the heros of the arctic“, wie Axelsson sie nennt.
Man kann die seltsame Form von Sauerstoff aus der extrem reinen Luft förmlich einatmen, die einen aus Axelssons Fotografien der Arktis anweht, und auf den vielen Bildern von Schneestürmen wähnt sich die Betrachterin mittendrin. Es ist sowas wie eine Reise durch Zeit und Raum für Weicheier, bleiben einem doch so die wahrhaft menschenfeindlichen Bedingungen der Natur erspart. Auch wenn der traditionelle Fellanzug des Jägers in Nordgrönland kuschelig wirkt, möchte ich nicht unbedingt in dieser Haut stecken, als verweichlichte Mitteleuropäerin hätte ich mit Sicherheit kalte Füße. Trotzdem bin auch ich fasziniert von den Bildern und kann die Sucht, immer wieder ins Reich der Schneekönigin zurückzukehren, nachvollziehen. Natürlich tut sich ein gebürtiger Isländer damit leichter, den archaisch lebenden Jägern zu begleiten, er macht seine Bilder ganz lässig ohne Handschuhe, hat aber für die Aufnahme des in Fell gekleideten Jägers einen Preis dafür gezahlt: Sein Daumen schmerzt jetzt, zwei Jahre danach, immer noch …

Unbedingt empfehlenswert ist es, sich den Film anzusehen, in dem der Fotograf Geschichten zu seinen Aufnahmen erzählt. Hier erfährt man zum Beispiel, dass es noch Eisbärenjäger gibt. Das tut einerseits weh, weiß doch jedermann, dass die Eisbären aussterben und so fragt man sich, warum es nicht verboten ist, sie zu jagen. Andererseits erklärt der Jäger, dies sei seine Lebensgrundlage. Die freilich mit dem Klimawandel immer mehr schwindet, aussterben werden also nicht nur die Bären, sondern auch die Menschen, die von ihnen leben.
Auch das Thema der Robbenjagd wird gestreift, ebenfalls ohne jede Wertung. Insgesamt ist es wohl ein sehr hartes Leben, das die Menschen in dieser extremen Kälte führen. Der Speiseplan dürfte wenig Abwechslung bieten: was könnte es außer Fleisch schon geben. Vermutlich werden sogar die Schlittenhunde, die treuen, aber nicht immer willigen Begleiter, gegessen. Und was essen wiederum die Schlittenhunde: ebenfalls Hund? Das könnte der Grund für ihr Heulen und Winseln sein.
Ragnarsson nennt die intelligenten Tiere, ohne die der Mensch in diesen Breiten nicht überlegen könnte, die „Helden der Arktis“. Er hat wunderbare Charakteraufnahmen von ihnen gemacht und erzählt eine bewegende Geschichte von einem besonderen Leithund: Der Jäger kannte ihn schon als verspielten Welpen. Als er sechs Monate alt war, war die Kindheit des Hundes jedoch zu Ende, er wurde an die Kette gelegt und bald hieß es Schlitten ziehen. Darüber war der Hund böse. Dennoch wurde er zu einem der zähsten, intelligentesten und verlässlichsten Begleiter des Jägers. Darüber hatte ich noch nie nachgedacht: das harte Los der Schlittenhunde. Kein Mensch fragt sie, ob sie diesen Job übernehmen wollen, im Grunde sind sie versklavt.




Im Grunde ist der Titel der Ausstellung meiner Meinung nach etwas irreführend. Im Mittelpunkt steht höchstens indirekt der Klimawandel, der die großartigen Landschaften und traditionellen Lebensformen zu zerstören droht. Der Fotograf führt mit der erhabenen Schönheit der Arktis ein Plädoyer für deren Erhalt.
Vor Augen geführt hat mir die Ausstellung auch, wie klein und nichtig ein Menschenleben ist. Was soll der Sinn darin sein, jeden Tag unter härtesten Bedingungen der Natur das Überleben abtrotzen zu müssen. Tiere jagen und töten zu müssen, um ihr Fleisch zu essen, sich in ihr Fell zu kleiden. Tiere einspannen zu müssen (im wahrsten Sinn des Wortes), um überhaupt jagen zu können. Tagein tagaus mit den täglichen Verrichtungen des Überlebens beschäftigt sein. Darüber vergehen die Jahre wie im Flug. Kann man sich solchen Luxus wie romantische Liebe leisten? Man wird nehmen müssen, was zu kriegen ist. Geht’s dann auch in erster Linie ums Fleisch oder um Fortpflanzung oder gönnt man sich den Luxus komplizierter Beziehungen, worüber man sich wohl unterhält? Die Kargheit wäre gar keine schlechte Ausgangsbasis für das Gedeihen der Fantasie, aber ist die nötige Muße dafür vorhanden? Wozu sind wir auf der Welt? Um unsere Grundbedürfnisse auf Kosten anderer Lebewesen zu stillen und uns fortzupflanzen?
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